Die Quelle guter Musik. Teil 4: Vinyl

Wer hätte das gedacht? Veraltete Technologie, sperrige Größe, anfälliges Material und trotzdem – oder gerade deswegen – in aller Munde. Die gute alte Schallplatte ist vom Totenbett auferstanden um Generationen von Musikhörern zu vereinen. Eine Art "Zurück zur Natur" in der Welt der Musikmedien. Aber Spaß beiseite: Es scheint tatsächlich fast wie eine Art Trotzreaktion auf Musik, die man nicht mehr anfassen kann, die fast jeden monetären Wert verloren hat und die sich nach vermeintlich intelligenten Algorithmen selbst in genialen Playlisten organisiert. Während der CD trotz haptischer Komponente schon vollkommen berechtigt der Verdacht des Digitalen anhaftet, ist bei der Vinylscheibe sicher: Die geht in kein Computer-Laufwerk.

Das Phänomen Vinyl

Zwar ist der Markt vergleichweise klein, aber die Zahlen beeindrucken. Während alle anderen physikalischen Tonträgerformate der deutschen Musikindustrie im vergangenen Jahr Umsatzeinbußen bescherten, stieg der Umsatz mit dem schwarzen Gold von 19 Millionen Euro in 2012 auf 29 Millionen Euro im Jahr 2013. Macht man sich dann klar, dass 2006 gerade einmal 6 Millionen Euro Umsatz erzielt wurden, so wird deutlich wie viel sich hier getan hat. Das Potenzial haben Händler und Künstler gleichermaßen erkannt. Seit 2007 gibt es den sogenannten „Record Store Day“. Seinen Ursprung nahm die Bewegung zur Rettung der Plattenladen-Kultur in den USA, inzwischen partizipieren tausende Shops weltweit. Die Veranstaltung, die jedes Jahr am dritten April Wochenende stattfindet, ist zu einem Event geworden. Streng limitierte Vinyl-Editionen werden speziell an diesem Tag angeboten, bekannte Bands spielen sogenannte “instore gigs”, Parties und Clubnächte ergänzen das Programm. Dabei bleiben die großen Ketten außen vor. Nur der unabhängige Tonträgerhandel darf teilnehmen und seine Vorzüge präsentieren: persönliche Beratung, Austausch unter Gleichgesinnten, Neuentdeckungen und musikalische Inspirationen. (Finden Sie übrigens auch bei Hifi im Hinterhof. ;))

Neben der sozialen Dimension, spielen bei der Entscheidung für Vinyl außerdem oft – so abgedroschen das klingen mag – Raum und Zeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Formatbedingt bieten Cover und Booklet ausreichend Platz, sodass Artwork hier nicht nur Artwork ist, sondern wirklich Kunstwerk sein kann. Diesem kann man dann während des Hörens auch das angemessene Maß an Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, denn eine Skip-Funktion suchen Sie beim Schallplattenspieler vergebens. Stattdessen bekommen Sie möglicherweise ein wohlbekanntes Knistern zu hören, das für den einen das K.O.-Kriterium schlechthin und für den anderen das Salz in der Suppe ist. John Peel bezog hier eindeutig Stellung: “Somebody was trying to tell me that CDs are better than vinyl because they don’t have any surface noise. I said, “Listen, mate, *life* has surface noise”. Damit wären wir bei den technischen Fakten zum Thema Schallplatte angekommen.

Diese Jahr schon vorbei: Der Record Store Day

Diese Jahr schon vorbei: Der Record Store Day

Analoge Technologie

Zunächst ist festzuhalten, dass es in der langen Geschichte der Schallplatte eine Vielzahl unterschiedlicher Herstellungsverfahren, Materialexperimente und technischer Anpassungen gegeben hat. Diese betreffen zum Beispiel die Spieldauer, die Laufrichtung oder die Abspielgeschwindigkeit und haben entsprechend auch verschiedene Abspielsysteme hervorgebracht. Eine vollständige Berücksichtigung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, sodass hier kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Die heute gängige Schallplatte besteht zum größten Teil aus Polyvinylchlorid, das ihr die typische Bezeichnung “Vinyl” verleiht. Bei der industriellen Fertigung wird in die PVC Scheibe eine Rille gepresst, die in der Regel links herum von außen nach innen läuft und deren Profil ein analoges Abbild der ursprünglichen Musikaufnahme in Frequenzspektrum und Zeitverlauf darstellt. Hier wird einer der Unterschiede zwischen analoger und digitaler Speicherung quasi greifbar: Durch das digitale Speicherverfahren lässt sich auf der vergleichsweise kleinen CD eine weitaus größere Datenmenge unterbringen, als auf der analogen Schallplatte, die pro Seite lediglich 20 bis 25 Minuten Musik speichert. Dafür befindet sich auf der CD kein analoges Abbild in Form einer Rille, stattdessen werden die Daten – beziehungsweise der Anteil, der im Rahmen der Analog-Digital-Wandlung berücksichtigt wurde – in den “pits” und “lands” codiert auf der gespeichert. Die Eigenheiten beider Welten werden auch beim Betrachten der Klangqualität noch eine Rolle spielen.

Als Rohmaterial für die Schallplattenproduktion setzte sich PVC aus einer ganzen Reihe von Gründen durch. Im Gegensatz zu der noch bis in die 1960er Jahre gebräuchlichen Schellackplatte, war die Vinylscheibe weniger zerbrechlich. Radiostationen begannen in den 1930er Jahren aufgenommene Radioprogramme oder Werbejingles an Disk Jockeys zu versenden und setzten daher auf das alternative Material. Tonträgern für Kinder kam die größere Flexibilität ebenso zu Gute und die Schellackknappheit während des zweiten Weltkrieges tat ihr übriges. Darüber hinaus bestach das neue Material auch in technischer Hinsicht. Eine bessere Ausnutzung der Fläche war nun möglich und die Rille wurde schmaler. Das erhöhte die Spieldauer und sorgte in Verbindung mit einer feineren Nadel für feinen verbesserten Klangeindruck bei geringerem Nebengeräuschpegel.

Trotz aller Verbesserungen konnten allerdings nicht alle Probleme ausgeräumt werden. Da es sich um ein weiches Material handelt, besteht eine gewisse Anfälligkeit für Kratzer. Übermäßige Wärme kann zu Verformungen führen und statische Aufladung macht die Scheibe zu einem echten Staubmagneten. Sorgloser Umgang wird mit vermehrtem Knistern, Knacken oder im schlimmsten Fall sogar Sprüngen und Hängern in der Wiedergabe quittiert, die den Musikgenuss trüben können. Das Medium also bedarf einer gewissen Aufmerksamkeit und Rücksicht, wird aber – wie eingangs erwähnt – gerade deswegen von vielen Liebhabern geschätzt.

Unter dem Mikroskop wird die Rille sichtbar

Unter dem Mikroskop wird die Rille sichtbar

Klangqualität

Man bekommt das Gefühl die Büchse der Pandora zu öffnen, wenn man die Worte Klangqualität, Vinyl und CD in einem Atemzug erwähnt. Seit Einführung der silbernen Disk ist die Diskussion um das Für und Wider beider Formate nicht mehr erloschen und es gibt immer wieder Berichte von der Front über erbitterte Grabenkämpfe um die einzig wahre Wahrheit in Sachen Musikwiedergabe. Wir begnügen uns damit Ihnen auf dem Weg zu ihrer ganz persönlichen Antwort ein paar Fakten zu liefern.

Die Tonqualität einer Vinylschallplatte hängt natürlich zunächst von der verwendeten Materialmischung ab und auch der Schnitt beeinflusst das Endergebnis zwangsläufig. Während der Rillenabschnitt, der bei jeder Umdrehung zur Verfügung steht, nach innen geringer wird, bleibt die Umdrehungsgeschwindigkeit konstant. Die Modulationen der Rille, die den Klang repräsentieren, haben im Außenbereich also eine größere Wellenlänge als dies nahe dem Mittelloch der Fall ist. Allein diese Tatsache beeinflusst den Klang etwa bei komplexen hochfrequenten Signalanteilen und dabei handelt es sich keinesfalls um ein Phänomen für Esoteriker. Tatsächlich wird bei der Produktion, so fern das möglich ist, vermeiden zu weit in die Mitte zu schneiden und auch die Wahl der Reihenfolge der Tracks kann durch diesen Umstand beeinflusst werden. Die Liste solch technischer Feinheiten und möglicher Abwegungsprozesse ließe sich endlos fortsetzen, sollte aber unter keinen Umständen als Argument gegen Vinyl interpretiert werden. Es zeigt sich lediglich, dass es enorm viele Einflussfaktoren gibt, sodass eine oberflächliche und ideologisch geführte Diskussion – wie so oft – am Ziel vorbei schießt.

Ein letztes Beispiel: Die technologische Limitierung des Frequenzbereiches, den die CD unter theoretisch perfekten Bedingungen wiedergeben kann, liegt bei 22050 Hz (Nyquist-Frequenz bei 44,1 kHz Abtastrate). Bei modernen Vinylpressungen lässt sich diese Grenze durchaus überschreiten. Um das volle Spektrum hörbar zu machen, müssen aber auch alle anderen Komponenten der Wiedergabekette wie zum Beispiel Laufwerk, Tonabnehmer, Tonarm, Nadel, Phonovorstufe optimal abgestimmt sein. Das untere Ende des Frequenzbereiches kann die CD wiederum problemlos abdecken. Die Schallplatte kommt stattdessen am unteren Ende des über das Ohr wahrnehmbaren Frequenzspektrums (ca. 20 Hz) und darunter an ihre physikalischen Grenzen.

Bezüglich der bereits angesprochenen Nebengeräusche besteht hingegen kein Zweifel. Diese sind auf der CD nicht vorhanden. Schon deshalb wird ihr Klang in der Regel als sauberer wahrgenommen. Abgesehen davon produziert die vermeintlich weniger perfekte Analogtechnik aber auch solche „Fehler“, die das menschliche Ohr als besonders hörenswert empfindet. So ist es nicht unüblich, dass beim Hören von Vinyl durch harmonische Verzerrungen das Höhenbild als sehr angenehm und der Gesamtklang durch eine leichte Kompression als besonders druckvoll wahrgenommen wird. Diese werden, man ahnt es schon, unter anderem auch durch das Wiedergabesystem beeinflusst treten dementsprechend in unterschiedlicher Ausprägung auf. Mit der Frage, ob man solche Effekte begrüßt oder als Verfälschung empfindet, schließt sich dann der Kreis und es ist Zeit für eine neue Runde in der Diskussion Vinyl vs. CD.

Verführerisch schön

Vinyl stilvoll in Szene gesetzt

Fazit

Die versöhnliche Nachricht zum Schluss: Wir befinden uns nicht im Film Matrix und man muss sich nicht für die blaue oder die rote Pille entscheiden. Neil Young macht es vor und wildert gleichzeitig in der analogen und der digitalen Welt. Während er einerseits seine Vision eines hochauflösenden digitalen Musikspielers mit Namen Pono vorantreibt, nimmt er mit Kreativkopf Jack White ein Album in einer telefonzellenartigen Kabine aus dem Jahr 1947 auf, die Audiobotschaften direkt auf Vinyl schneidet. Der Frequenzbereich des Voice-O-Graph lässt zu Wünschen übrig, ist dafür aber so richtig analog. Am Ende handelt es sich sicher um eine Bauchentscheidung, ob man sich dazu entschließt in das Thema Vinyl einzutauchen oder nicht. In jedem Fall bietet es die Chance Musik neu zu entdecken, möglicherweise bewusster wahrzunehmen und ihren Stellenwert neu zu definieren.

Wenn Sie Lust bekommen haben neu einzusteigen, ihre Wiedergabekette zu optimieren oder ihr alt gedientes System in Rente schicken möchten, um die Vorzüge neuester Technik zu genießen, beraten wir Sie gerne und umfassend. Wir stehen Ihnen telefonisch unter 030 253 753 10, per Email unter eShop@hifi-im-hinterhof.de und selbstverständlich von Angesicht zu Angesicht in der Großbeerenstraße 65/66 in Berlin-Kreuzberg zur Verfügung. Mo – Fr 10:00 – 19:00, Sa 10:00 – 15:00



2 Antworten auf „Die Quelle guter Musik. Teil 4: Vinyl“

  1. Bernd Jaworski am

    Lässt sich auf dem LP-Label erkennen, ob eine Vinyl-LP analog aufgenommen bzw. gepresst wurde oder von einer digitalen Quelle stammt? Beitrag übrigens sehr informativ. Danke

    Antworten
    • Florian am

      Vielen Dank für den Kommentar! Es kann natürlich sein, dass diese Info mit abgedruckt wird, aber die Regel ist es sicherlich nicht. Da müsste man gegebenenfalls die einzelnen Fälle recherchieren, denke ich. Vielleicht finden sich in den Weiten des Netzes auch Quellen dazu.

      Antworten

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